Reiten, das wussten schon die alten Meister, formt nicht nur vorrangig den Körper des Pferdes, sondern genauso den Geist des Reiters!
Damit ist gemeint, dass der Reiter eine sehr selbstreflexive Haltung benötigt und eine gehörige Portion Demut vor der Kreatur. Das Problem – so wird man in der Klassik nicht müde zu sagen – sitzt immer im Sattel. Nur Reitern, denen das klar ist (auch, wenn es um ihr eigenes Pferd geht), werden einen geistigen Reifungsprozess durchmachen, wenn sie anfangen, sich mit der Reitkunst zu beschäftigen und das Feld des reinen Nutzens des Pferdes z. B. durch „freizeitmäßige Ausritte“ oder im Sport zu verlassen.
Bis hierhin mag auch jener nicken, der weit davon entfernt ist, auch nur ansatzweise die geistige Reife für das Reiten zu entwickeln. Zu Reiten, bedeutet nicht automatisch geistige Reife zu entwickeln. Man muss schon etwas tun. Und an erster Stelle heißt das: Die eigene Haltung überprüfen.
Klar, machen wir doch alle. Wir lieben doch unsere Pferde.
Die Idee, dass allein das Lieben des Pferdes und die (theoretische) Bereitschaft, „alles für sein Pferd tun zu wollen“ dazu führe, dass man seinem Pferd nicht schadet, ist weit verbreitet.
Nicht nur unter zu romantisch verklärten Weltbildern neigenden Teenagern – auch „gestandene“ Erwachsene sind von so einer Idee leicht zu verführen.
Die Liebe als Garant dafür, keine Fehler zu machen. – So wird alles schön einfach. Man traut sich an Grenzen heran, weil man denkt, die Liebe zum Pferd wird schon verhindern, dass man irgendetwas tut, was ihm nicht gut bekommt.
Klar, Rollenschlaufzügel sind gefährlich – aber wenn ich mein Pferd liebe, dann werde ich die so handhaben, dass mein Pferd nicht zu Schaden kommt.
Ja, ich weiß, dass ein Knotenhalfter sehr scharf ist, aber da ich mein Pferd liebe, wird dies verhindern, ihm damit Schmerzen zuzufügen.
Klar weiß ich, dass Gewichte an den Vorderbeinen eines Pferdes dort Schaden anrichten können, aber ich habe mein Pferd doch so lieb, da weiß ich genau, dass ich das nur mache, um ihm zu helfen – nicht, um ihm zu schaden.
Ach, wenn das so einfach wäre....
Liebe zur Kreatur ist sicherlich ein äußerst wichtiger Baustein, wenn es um die Entwicklung geistiger Reiterreife geht. Sie ist aber „nur“ die Motivation, dieses Gefühl der Liebe durch echtes Wissen zu belegen – nicht die Garantie für automatisches „Allesrichtigmachen“.
Der erste Schritt auf dem Pfad der geistigen Reiterreife ist daher das kritische Überprüfen der eigenen Haltung.
Wozu halte ich ein Pferd? Für wen reite ich? Warum will ich überhaupt reiten?
Diese Fragen klingen harmlos, gehen aber schnell ans Eingemachte, wenn man das mit der geistigen Reiterreife wirklich ernst meint.
Pferde zu lieben ist kein Argument. Es ist Voraussetzung, aber längst nicht der Grund.
Wer all diese Fragen mit „Nein“ beantworten kann, ist ein Lügner.
Er ist ein Lügner, weil er nicht nur sein Pferd belügt, sondern vor allem sich selbst. Er verleugnet nur allzu menschliche Schwächen für sich. Er hat sich längst auf die Insel der Selbstüberschätzung begeben, von der die schlimmsten Verbrechen am Pferd ausgehen.
Dabei geht es überhaupt nicht darum, sich als besserer Mensch zu etablieren! Es geht bei der Entdeckung der reiterlichen Reife auch nicht darum, sich von solchen Motiven zu befreien – es geht darum, sich dazu zu bekennen und sie sich ins Bewusstsein zu holen, damit man weiß, an welcher Stelle man unfair wird zu seinem Pferd. Und damit man sich bewusst entscheiden kann, etwas zu tun oder zu lassen.
Das, liebe Reiterfreunde, ist Selbstreflexion.
Es geht nicht um Selbstkasteiung, nicht um eiserne Disziplin, nicht um demütiges Verharren und damit dem Wegducken vor der eigenen Unzulänglichkeit.
Es geht darum, sich seiner Fehler und Eigenarten bewusst zu werden, mit ihnen erwachsen umzugehen und für sich selbst einen Platz zu bestimmen, von wo aus man sich auf den Pfad der Entwicklung zum geistig reifen Reiter begeben will.
Geistig reifen wir als Reiter erst im Moment des Anfangs einer Änderung! Wir müssen uns selbst reflektieren. Denn unsere Pferde tun das ja auch.
Das Pferd ist dein Spiegel. Das Problem sitzt immer im Sattel.
Große Wahrheiten können so einfach sein.